Vor ein paar Wochen durfte ich für einen englischsprachigen Klub eine Rede bewerten. Anschließend bekam ich Feedback. Ich würde so viel selbstbewusster wirken, wenn ich Englisch als wenn ich Deutsch sprechen. Wie kann das sein? Schließlich bin ich in Deutschland geboren und aufgewachsen. Deutsch kann ich definitiv besser. Ich entschloss mich, eine qualitative Studie über ein Qualitätsthema zu starten: Mich selbst. Hatte ich verschiedene Persönlichkeiten in den vier verschiedenen Sprachen, die ich sprach?
Welche Sprache spricht Ihr innerer Kritiker?
Die Muttersprache bekommen Sie schon vor Ihrer Geburt zu hören. Durch die innere Körperschallleitung hörten Sie sie. Und noch mehr sobald Sie auf der Welt waren. Inhaltlich, wie bei den meisten Kindern weltweit, vor allem wohlmeinende Variationen von „Nein“: „Iss die Schuhe nicht.“, „Das kannst Du nicht!“, „Bring Deinen süßen kleinen Bruder nicht um.“ Ausgerechnet in dem Lebensalter bis wir etwa sechs Jahre alt sind, ist das Unterbewusstsein weit offen. Die negativen Botschaften werden ungefiltert gespeichert und bei passender und vor allem völlig unpassender Gelegenheit abgerufen. Der innere Kritiker, die innere Kritikerin ist entstanden. Sobald sich eine Chance ergibt, in einer anderen, unbelasteteren Sprache zu sprechen, nehmen die meisten Menschen sie an.
Die offizielle andere Sprache
Als ich zehn war wurde in der Schule die Sprache angeboten in der Popsongs gesungen, interessante Bücher geschrieben und die lustigsten TV-Shows produziert wurden: Englisch. Klar, dass ich die liebte und lernte. Von 1993 bis 1999 lebte ich sogar in Kalifornien, studierte, aß Burritos, fuhr den Coast Highway von Los Angeles nach Big Sur und schwamm im Pazifischen Ozean. Ja, ich wusste, dass ich einen Akzent hatte. War aber selbstbewusst genug, meinen eigenen Akzent attraktiv zu finden. Irritiert wurde ich lediglich durch andere Akzente. Spanisch, Deutsch oder Österreichisch, vor allem: „Hasta la Vista, Baby!“
Die offiziell nächste andere Sprache
„Toujours l’Amour!“, die französische Sprache fühlt sich für mich spielerisch an. Wie eine Fantasie. Auch deshalb, weil ich sie nicht wirklich beherrsche und nie länger als 3 Wochen, insgesamt höchstens zwei Monate, in Frankreich war. Die Sprache bedeutet Shalimar für meine Nase, Lavenderfelder für meine Augen und Ratatouille für meine Geschmacksknospen. Ich habe das Gefühl, dass ich auf französisch nichts falsch machen kann. Außer: Eine halbfranzösische Nichte zu haben. Als sie zwölf war sprach ich mit ihr in ihrer Muttersprache und fragte sie anschließend, wie gut ich klinge. Sie antwortete: „Tu as un accent merde.“
Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, ist Ihnen vermutlich aufgefallen, dass ich „offizielle erster Fremdsprache“ schrieb und „offizielle nächste andere Sprache“. Tatsächlich gibt es in meinem Fall eine inoffizielle andere Sprache.
Andere Sprachen: Deutsche Dialekte
Als ich sechs Jahre alt war zog meine Familie in einen anderen Stadtteil. Viele meiner neuen FreundInnen sprachen einen Dialekt, der als einer der drei terribelsten — schwäbisch, sächsisch, hessisch — gilt. Im Hessischen gib es Worte, die noch nicht einmal auf Google zu finden sind. Bibbricher Sonnebrille zum Beispiel. Das bedeutet: Hämatome um die Augen, verursacht durch eine Person verursacht, die in Wiesbaden-Biebrich lebt. Hessisch ist ohnehin die effektivste Sprache. Ei gude, wie? Vier Silben, für die Hochdeutsch viel mehr braucht. ‚Ei‘ steht für ‚Hallo‘. ‚gude‘ für ‚hab einen guten Tag‘ und ‚wie?‘ für ‚wie geht es Dir?‘. Mit meiner inoffiziellen zweiten anderen Sprache konnte ich, als ich älter wurde, sogar in Frankfurt Karriere machen. Ich sprach so mit meinen Kollegen und mit meinem Chef bei McCann-Erickson.
Doch dann passierte es. Ich bekam einen Job bei einer Werbeagentur in Düsseldorf. An meinem ersten Arbeitstag ging ich in all‘ meiner hessischen Unschuld ins Büro, öffnete die Tür zu dem Raum in dem die Kreativen saßen und grüßte: „Ei gude, wie?“ Die neuen KollegInnen sahen mich verstört bis schockiert an. Seitdem bin ich vorsichtiger damit geworden, wen ich mit meiner inoffiziell anderen Sprache konfrontiere.
Qualitatives Studienergebnis und weitere Forschung
Ja, ich habe unterschiedliche Persönlichkeiten — und damit ein anderes Selbstbewusstsein — je nachdem, was für eine Sprache ich spreche. Ich fühle mich am unsichersten auf Deutsch, am selbstbewusstesten auf Englisch, am verspieltesten auf Französisch und am meisten zuhause auf Hessisch. Mehr Forschung zu Sprachen und Dialekten ist notwendig. Probieren Sie es aus. Beginnen Sie qualitative Studien mit einem Qualitätsthema: Sich selber.