Mein Lehrer für Integrative Körperpsychotherapie, Jack Lee Rosenberg, ist am 1. November 2015 in Venice Beach, Kalifornien, gestorben. Dort, wo er gelehrt und praktiziert hat. Er war Autor (u.a. des Bestsellers Body, Self and Soul), ein genialer Therapeut und vor allem auch eins: Saukomisch. Er klärte auf in jeder Hinsicht, auch hinsichtlich Geschlechtervorurteilen.
Ich bin dankbar dafür, ihn überhaupt getroffen zu haben. Die Ausbildung bei ihm machte ich von 1996-1999. Das letzte Mal sah ich ihn persönlich im November 2012. Statt hier einen Nachruf zu schreiben, möchte ich mit Ihnen eine Erinnerung teilen. Die kleine Geschichte beinhaltet eine praktische Übung, um die eigenen Geschlechtervorurteile besser kennenzulernen.
Vorurteile sind ja meistens dumm. Sie engen die Möglichkeiten ein. Besonders tragisch ist es aber, wenn man Vorurteile gegen Teile von sich selber hat. Zum Beispiel gegen sein eigenes Geschlecht. Ob Sie nun Mann oder Frau sind: Höchste Zeit Ihren destruktiven Vorurteilen auf die Schliche zu kommen.
Hierzu ein Ausschnitt aus meiner (nie veröffentlicht werdenden) Autobiografie:
„Jack gab uns auch Hausaufgaben. Eine hatte das Thema „Gender Prejudices“. Geschlechtervorurteile übernähme ein Kind von der Familie, ungeprüft. Egal ob gegenüber dem eigenen oder dem anderen Geschlecht. Wir sollten innerhalb der nächsten Woche fremde Männer und Frauen betrachten und dabei bewusst wahrnehmen, was für ein Urteil wir fällen. Dann sollten wir diese Person ansprechen und prüfen, ob unsere Gedanken der Realität entsprächen.
Am folgenden Samstag war ich zu einer „Housewarming“-Party in Silverlake eingeladen. Ein Mitstudent und seine Freundin hatten ein Haus bezogen. Unter den Gästen war auch eine kleine, modisch gekleidete Blondine mit zartem Teint. „Eindeutig oberflächlich, arrogant und verwöhnt“, dachte ich mir und ertappte mich bei diesem harten Urteil. Ich merkte mir die Worte, fraß metaphorisch Kreide und ging die paar Schritte auf sie zu. „Hi, I’m Susanne, from Germany. How are you?“ Sie lächelte mich derart bezaubernd an, dass ich davon schon ein schlechtes Gewissen bekam.
„Nice to meet you, I’m Sandy.“ Ich musste mein Vorhaben dennoch eiskalt durchziehen, das war schließlich Pflicht. Sie war garantiert Starlet, Tänzerin oder gut erhaltene Stripperin: „What do you do? Study?“ Sie schüttelte lachend den Kopf. „I work…“ Ausweichende Antworten waren ja vor allem für Hausfrauen typisch. „…with inner city kids.“ Das gab mir den Rest. Sandy arbeitete als Grundschullehrerin im sozialen Brennpunkt von Los Angeles! Sie liebte ihren garantiert nicht gut bezahlten Job, der sie täglich von Silverlake in das raue Umfeld der USC, meiner ehemaligen Uni, führte. Wer war hier eindeutig oberflächlich, arrogant und verwöhnt?
Als ich diese Erkenntnis in der Ausbildungsgruppe berichtete, strahlten die blauen Augen von Jack’s Co-Therapeutin Barbara: „You should have asked her what brand of beauty care she uses.“ “ (Zitat Ende)
Diese Übung war, vor allem auch auf meine eigene Geschlechtszugehörigkeit bezogen, erhellend. Es war möglich, dass auch eine hübsche blonde Frau, kompetent und engagiert ist. Wow. (Inzwischen sind einige meiner besten Freundinnen und Klientinnen Blondinen. Und ich selber bin, 20 Jahre später, auch schon hellhaariger.)
Ich bin gespannt, was Sie für Erkenntnisse gewinnen werden, wenn Sie Ihre eigenen Geschlechtervorurteile konfrontieren. Nochmal, die Übung geht so:
Der Geschlechtervorurteile-Test
- Gehen Sie auf eine Party oder öffentliche Veranstaltung, auf der Sie unverfänglich andere Menschen ansprechen können.
- Picken Sie sich eine Person Ihres eigenen oder des anderen Geschlechts heraus, die möglichst schon optisch Urteile bei Ihnen triggert.
- Notieren Sie sich die Adjektive, die Ihr Urteil beschreiben, möglichst schriftlich.
- Gehen Sie auf diese Person zu und verwickeln Sie sie in ein Gespräch. Werden und bleiben Sie offen, mit der Intention, sich ein wahrhaftiges Bild von dieser Person zu machen.
- Im Anschluss an das Gespräch vergleichen Sie Ihre vorab verfassten Urteile mit der Realität.
Machen Sie das nicht für mich oder für Jack. Sondern für sich selber und Ihre Beziehungen, vor allem der wichtigsten: Der zu sich selber.
Viel Spaß und mindestens so viele Erkenntnisse! Lassen Sie mich bitte wissen, was Sie erlebten.