Der Geist weht bekanntlich, wo er will: Doch, speziell, wenn es sich um einen Genie-Geist handelt: wo will er oder sie wehen? Und wann? Dazu hat sich der US-Amerikaner und ehemalige NPR-Radio-Auslandskorrespondent Eric Weiner Gedanken und auf Reisen gemacht. Zeitreisen durch die Kulturen. Auf der Suche nach den besten Lebens- und Wachstumsbedingungen für geniale Geister. Dann hat er ein Buch geschrieben. Derart, dass er die LeserInnen mit auf seine unterhaltsam interessante Reise nimmt. Das bestätigen Erstleser wie Daniel H.Pink, Adam Grant und Walter Isaacson auf dem Umschlag des Buches. Ich freute mich schon seit November letzten Jahres darauf, es zu lesen. (Ein Geburtstagsgeschenk von Eva Maria Schielein. Danke!) Und dann, die letzten Tage, von Kapitel zu Kapitel. (Das 2016 erschienene Buch gibt es leider nur auf englisch.)
Städte und Zeiten. Ganz ohne Berlin
Eric Weiner reist also zu den Plätzen der Welt, die zu unterschiedlichen Zeiten, ihre jeweils goldenen Zeitalter hatten:
- Athen/Griechenland
- Hangzhou/China
- Florenz/Italien
- Edinburgh/Schottland
- Calcutta/Indien
- Wien/Österreich
- Silicon Valley/USA
Dort trifft Weiner sich jeweils mit Männern und Frauen, die ihm weiteren Einblick in die jeweilige vergangene und aktuelle Kultur geben. Ob das nun ein Fremdenführer namens Aristoteles ist oder eine eifrige Kunstgeschichtlerin oder ein chinesischer Internetmilliardär oder ein abgeklärter Risikokapitalgeber. Diese Gespräche mischt er mit aktuellen sinnlichen Eindrücken von Ort und Stelle, persönlichen Assoziationen und — voilà — Studien und als wissenschaftlich gelten könnenden Querverweisen. Die Forschungsfrage, die ihn neben der Reiselust treibt: Ist Genie erblich oder umweltbedingt? Sein erklärtes Ziel: Mit den erworbenen Erkenntnissen seiner Adoptivtochter zu ermöglichen, unbelastet von seinen, wie er bereitwillig zugibt, eher nicht-genialen Genen, unter optimal geniefördernden Bedingungen aufzuwachsen.
Von Komplexität zu KollegInnen
Was, unter all den vielen Eindrücken, fand ich auffällig gut? Die Vielschichtigkeit des Buches, zum Teil wirklich atemanhaltend virtuos. Da sind auch ein paar Zeilen Längen Erholung dazwischen. Kein Zufall, dass Eric Weiner das Wort komplex, im Gegensatz zu kompliziert, besonders gut beschreibt: „Komplizierte Dinge können dadurch erklärt werden, dass ihre einzelnen Teile untersucht werden. Komplexe Dinge nicht. Sie sind immer größer als die Summe ihrer Teile. Diese Dynamik hat nichts mit der Anzahl der Teile oder, sagen wir, Kosten des Objekts zu tun.“ (Seite 201/202, Übersetzung S.H.).
Bezüglich des Themas dieses Blogs hier zitiert Weiner die Wiener Musikmoderatorin Friederike so: „Beethoven wäre nicht als Genie bekannt, wäre er nicht gut im Marketing gewesen. Mozart hatte mit seinem Vater eine eingebaute Marketingmaschine.“ (Seite 239, Übersetzung S.H.)
Neben Studien, darunter zwar keine weltbewegend neuen, doch interessante Kombinationen, wählt Weiner überhaupt gute Zitate. Zum Beispiel das hier von W.H.Auden: „Das ideale Publikum, das der Dichter/die Dichterin sich vorstellt, besteht aus den Schönen, die mit ihm/ihr ins Bett gehen, den Mächtigen, die ihn/sie zum Abendessen einladen, ihm/ihr Staatsgeheimnisse anvertrauen. Und aus anderen Gedichte-Schreiber:innen. In der Realität besteht das Publikum aus kurzsichtigen Schullehrern, pickligen jungen Männern, die in Kantinen essen. Und aus anderen Gedichte-Schreiber:innen. Das heißt, dass er/sie tatsächlich für andere Gedichte-SchreiberInnen schreibt.“ (Seite 249, Übersetzung S.H.)
Zugegeben, der lauteste Lacher
Wenn Sie, liebe Kollegin/lieber Kollege, bis hierhin gelesen haben, haben Sie auch verdient, den meiner Ansicht nach besten Witz aus dem Buch im Original verraten zu bekommen. Denn Eric Weiner steht offenbar zu seinen Vorurteilen. So doziert er auf Seite 19, während seine Gedanken bei einem Espresso in Athen beschreibt: „The ancient Greeks were no Boy Scouts. They held outlandish weeklong festivals, drank heroic quantities of wine, and never met a sexual act they didn’t like.“
Wohin geht Ihre Reise? Fangen Sie an.