Ist Liebeskummer ein Zwangsgedanke?

Diagnose – Kultur – Therapie – Trost

Liebeskummer als Zwangsgedanke
Und an wen denken Sie jetzt?

Es geschah gegen Ende der Hypnose-Fachfortbildung ‚Ängste, Phobien, Zwänge und Essstörungen‘.  Ein Kollege aus Österreich stellte der Dozentin mit expressiver Wissbegier und angenehmem Dialekt die Frage: „Ist Liebeskummer ein Zwangsgedanke?“. Die anderen TeilnehmerInnen blickten ihn an.

Wir alle wussten: Er arbeitete vor allem mit Jugendlichen. Wollten wir wirklich in diesen schrillen Film einsteigen? Nach Justin Bieber kreischende Teenager. Werthers Leiden. Und reales, viel zu Nahe gehendes, Drama. Das Hier und Jetzt fühlte sich an wie ein Bahnungsmoment. Würde der zu einer schwer zu beendenden Diskussion führen? Hieß das, mal wieder in eine Problemtrance eintreten zu müssen? Hatten wir nicht genug davon?

Zwangsgedanke – Die Definition aus dem ICD 10

Die amtliche Diagnosen-Klassifikation ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) ordnet Zwangsgedanken unter den Zwangsstörungen F42 ein.

Diese fünf Bedingungen müssen, laut ICD-10, erfüllt sein:

  1. Die Zwangsgedanken oder zwanghaften Handlungsimpulse müssen vom Patienten als seine eigenen erkannt werden.
  2. Mindestens gegen einen Zwangsgedanken oder gegen eine Zwangshandlung muss der Patient noch Widerstand leisten.
  3. Der Zwangsgedanke oder die Zwangshandlung dürfen nicht an sich angenehm sein.
  4. Die Zwangssymptome müssen sich in zutiefst unangenehmer Weise wiederholen.
  5. Die Symptomatik muss über mindestens 14 Tage an den meisten Tagen bestehen.

Die Themen solcher Zwangsgedanken sind ein weites Feld: von Schmutz und Verseuchungsängsten über Gewalt und Ordnung zu Religion und Sexualität.

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Liebeskummer – Die offizielle und offene Antwort

Was denn nun?  Ist Liebeskummer ein Zwangsgedanke? Die TeilnehmerInnen blickten die Dozentin an. Sie hatte doch ihren Doktor an einem weltweit renommierten Institut gemacht. Sie war international in der Hirnforschung tätig. Sogar auf englisch. Wir hingen an ihren Lippen. Sie sprach:  „Liebeskummer kann ein Zwangsgedanke sein.“

Soweit die Wissenschaft. Am besten Sie prüfen Ihre Gedanken selber auf mögliche Zwanghaftigkeit. Über die eigenen Gedanken nachzudenken ist auf jeden Fall sinnvoller als Liebeskummer. Und wenn Sie dann immer noch Lust haben zu denken? Dann wäre die nächste mögliche Frage zum Beispiel: Was können Sie aus dem ganzen Kummer lernen? Was ist vielleicht sogar das Gute daran? Und weiter geht’s.

Und wenn nicht? Dann machen Sie bitte einen Termin für mögliche Unterstützung aus: Hier klicken.

Warum wird Romantik so oft missverstanden?

Unsere kulturellen Vorstellungen von Romantik haben ihre Wurzeln im Minnesang des Mittelalters. Robert A. Johnson beschreibt in seinem Buch „We – Understanding the Psychology of Romantic Love“, dass die Ritter damals die Burgfräulein mit Liedern und Gedichten verehrten, ohne die Absicht, eine tatsächliche Beziehung einzugehen. Viele der Damen waren ohnehin verheiratet. Im strengen Sinne also ohnehin keine Fräuleins mehr. Es ging den Songwritern und Poeten von damals um eine spirituelle, idealisierte Form der Liebe.

Im Laufe der Zeit wurden diese Vorstellungen durch Literatur, Musik und Filme popularisiert und oft vereinfacht dargestellt. Niklas Luhmann, der Systemtheoretiker, bemerkte treffend: „Man hat Romane gelesen und weiß, was Liebe ist.“ Diese idealisierten Darstellungen prägen unsere Erwartungen und können zu Enttäuschungen führen, wenn die Realität nicht mit dem romantischen Ideal übereinstimmt.

Einblicke aus der Integrativen Körperpsychotherapie

Die Körperpsychotherapie betont die Bedeutung von Bindung für das menschliche Wohlbefinden. Ein Mangel an körperlichem Kontakt und emotionaler Zuwendung kann auch und gerade schon im Säuglingsalter negative Auswirkungen haben. Erfahrungen aus der Kindheit beeinflussen unsere späteren Bindungsmuster.

In der Integrativen Körperpsychotherapie werden zwei Hauptängste in Bezug auf Bindung identifiziert:

  1. Angst vor Überflutung: Die Furcht, in einer Beziehung die eigene Identität oder Autonomie zu verlieren.
  2. Angst vor Verlassenwerden: Die Angst, vom Partner emotional oder physisch verlassen zu werden.

Während des Liebeskummers dominiert oft die Angst vor dem Verlassenwerden. Diese kann alte Wunden aus der Kindheit reaktivieren, insbesondere wenn frühere Bezugspersonen nicht zuverlässig waren. Die Intensität des Schmerzes kann dadurch verstärkt werden.

Liebeskummer – Trost aus einem Brief von 1904

Ein paar besonders tröstend wirkende Worte, die auch bei Liebeskummer und immer wieder aktuell wirken, schrieb Rainer Maria Rilke vor 121 Jahren an einen jungen Künstler. Hier ein Auszug aus einem der Briefe:

„Da dürfen Sie nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß wie Sie noch keine gesehen haben. Wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, dass etwas an Ihnen geschieht, dass das Leben Sie nicht vergessen hat, dass es Sie in der Hand hält, es wird Sie nicht fallen lassen.
Warum wollen Sie irgendeine Schwermut von Ihrem Leben ausschließen, da Sie doch nicht wissen, was diese Zustände an Ihnen arbeiten? Warum wollen Sie sich mit der Frage verfolgen, woher das alles kommen mag und wohin es will? Da Sie doch wissen, dass Sie in den Übergängen sind. Und nichts so sehr wünschten, als sich zu verwandeln.
In Ihnen geschieht jetzt so viel, Sie müssen geduldig sein. Beobachten Sie sich nicht zu sehr. Ziehen Sie nicht so schnelle Schlüsse aus dem, was Ihnen geschieht. Lassen Sie es einfach geschehen.“

Fazit des Liebeskummers

Liebeskummer ist eine universelle Erfahrung, die tiefen Schmerz verursachen kann. Indem wir die psychologischen Mechanismen dahinter verstehen und uns der kulturellen Einflüsse auf unsere Vorstellungen von Liebe bewusst werden, können wir besser mit diesem Schmerz umgehen. Es ist wichtig, die eigenen Gefühle zuzulassen. Doch es ist auch wichtig, sich nicht unnötig hineinzusteigern. Hilfreich wäre es, sich mit vertrauenswürdigen Freund:innen auszutauschen. Mit der Zeit werden die Wunden heilen, und wir können gestärkt aus dieser Phase hervorgehen.

Susanne Hake

Praxis für Osteopathie,

Körperpsychotherapie

und Coaching

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Foto: dpa.com/Silas.Stein

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