Sind Sie ein Kreativer oder eine Kreative ohne Produkt? Gar eine Künstlerin oder ein Künstler ohne Werk? Zumindest teilweise? Im wertvollsten Teil? Ich gebe hiermit offen zu: Ich halte mich im tiefsten Grunde meiner Seele für eine Lyrics-Texterin, eine Dichterin. Jawoll. Nichts, was bei mir unbedingt als offizielle Berufsbezeichnung herhalten könnte. Doch ich lebe inoffiziell damit. Bislang habe ich es ja auch nie irgend jemandem gegenüber erwähnt. Doch: ich habe auch noch nie wirklich Lyrics geschrieben. Nur ab und zu mal eine Zeile. Ich wollte mir den ganzen Song aufheben für wenn ich mal Zeit habe. Bis vor ein paar Tagen als ich mit einer kreativen Kollegin um den Schlachtensee spazierte.
Was würden Sie tun, wenn es Ihnen nicht so peinlich wäre?
Auf Höhe der Fischerhütte erwähnte sie, die es als Aikido-Meisterin wissen muss, dass dieses chinesische Jahr das des Feueraffen sei. Was mir nicht unbekannt war, doch die volle Bedeutung noch nicht: Es geht in dieser Zeitqualität unter anderem um Einfallsreichtum. Und wenn es irgendetwas an Kreativität gibt, dass vor sich hergeschoben wird, dann ist nun die richtige Zeit sich mutig damit zu befassen. Und bei mir ist das eben nicht Singen, Tanzen oder ein langer Roman, das fühlt sich auch zu sehr nach Arbeit an, sondern: Endlich mal wirklich einen Songtext schreiben. Egal ob gut oder weniger. Hit oder Flop.
Dem Kreativ sein den Widerstand nehmen: Das Kronzeugen-Modell
Kaum nehme ich mir vor, die Zeit zu nutzen, bevor am 28. Januar 2017 das neue chinesische Jahr des Hahns beginnt, bekomme ich Gegenwind. Ich bestelle meinen Schreibtee und erfahre, dass die Lieferzeit vier Wochen beträgt, da die neue Teeladung noch auf dem Schiff von China ist. Ich will all meine Songzeilen, die ich je in meinem Leben geschrieben habe, vor mir sehen. Und habe eins meiner wichtigsten Notizbücher verlegt. (Ich weiß, dass es noch irgendwo sein muss.) Doch: Ich werde den Song — irgendwo im Geschmacksdreieck von Leonard Cohen, Dolly Parton und Rararasputin — schreiben. Als berufenes Hobby, nicht als Beruf.
Um mich vor unnötigem Leistungsdruck und inneren und äußeren Kritikern zu schützen, unter einem Künstlernamen, den ich erst dann erfinde, wenn der Song fertig ist. Und auch dann niemandem verraten muss. Das Projekt fängt schon an, mir Freude zu machen. Danke für die Deadline, Feueraffe!